Quo vadis Atlantikwall?

Welches Bauwerk wäre besser geeignet als der Atlantikwall, um das Gedenken an die Folgen nationalsozialistischen Größenwahns wach zu halten? Noch nicht einmal 100 Jahre ist es her und schon wieder scheinen zunehmend nationale Interessen die Politik zu bestimmen. Gerade, wenn man die politische Entwicklung der letzten Jahre in Europa betrachtet ist unschwer zu erkennen, dass sich erneut nationalistisches Gedankengut staatenübergreifend ausbreitet und mehr und mehr Gewicht im Parteiengefüge der Länder erhält. Überregional angelegte Friedensbemühungen, die zur Errichtung und zum Erhalt einer europäischen Kulturlandschaft führen könnten, geraten dadurch zunehmend aus dem Fokus. Dabei wäre es gerade in Zeiten wie diesen wichtiger denn je, den Wert eines authentischen europäischen Mahnmals und Kulturdenkmals zu erkennen, voranzutreiben, und – mit einem in Beton gegossenen Stück Zeitgeschichte von staatsgrenzenübergreifender Monumentalität – vor den Folgen nationaler Abgrenzung zu warnen. 

In der Vergangenheit gab es durchaus vielversprechende Versuche, eine erweiterte Sicht auf diese nationalsozialistische Hinterlassenschaft zu ermöglichen um dieses geschichtliche Fiasko aufzuarbeiten. So richtete 1995 das dänische Blåvand, in der Kommune Varde, anlässlich des 50. Jahrestages der Befreiung Dänemarks am 4. Mai 1945 die Ausstellung „Die Linie – das Licht, Friedensskulptur” aus, an der sich 22 internationale Künstler beteiligten. Zwar rückte dieses Projekt das dunkle Kapitel Nationalsozialismus wieder für eine gewisse Zeit ins Licht des öffentlichen Interesses, ob es aber auf Dauer für die Idee, den Atlantikwall als Mahnmal begreifbar zu machen hilfreich gewesen ist, darf bezweifelt werden. Welche Gefahr für die „Gute Sache“ von einem Kunstwerk wie „Affe als Künstler“ von Jörg Immendorf ausging, bewies bereits die Notwendigkeit, sein Werk explizit als Kunstwerk ausweisen zu müssen, um es vor Vandalismus zu schützen.

Blavand, Dänemark Jörg Immendorf, Affe als Künstler
Ausstellung „Die Linie – das Licht, Friedensskulptur”, 1995

Denn ein Nebeneffekt dieses Kunst-Events war, dass die seinerzeit gelungene Fokussierung auf den geschichtlichen Hintergrund des Atlantikwalls seither zahllose talentfreie Nachahmer aus der Graffiti-Szene auf den Plan gerufen hat. Deren mittlerweile allgegenwärtigen „Kunstwerke“, nutzen in der Regel weder die Chance, die geschichtlichen, noch die aktuellen gesellschaftspolitischen Aspekte der Bauwerke neu zu interpretieren. Dementsprechend reagiert die öffentliche Meinung auf den Atlantikwall, denn in der Summe ergibt sich leider eine Steigerung der als „hässliche Verschandelung europäischer Strände” empfundenen Optik, was durchaus nachvollziehbar ist. Dies ist der guten, der mahnenden Sache natürlich nicht dienlich.

Gi352, Plage Euronat-Nord, R667, März 2020
Taucht unerwartet am FKK-Strand auf: Darth-Vader, der alte Spanner.

Selbstverständlich habe ich mich im Zuge meiner Recherchen auch eingehend mit dem Phänomen Graffiti auf Bunkern befasst. Mein Fazit: Manchmal (zu selten) passen Form und Inhalt doch zusammen, zum Beispiel, wenn eine sowieso surreal anmutende Betonskulptur wie der oben abgebildete Regelbau 667 zum Raumschiff umfunktioniert wird, mit dem Darth Vader eine Bruchlandung am FKK-Strand von EURONAT hingelegt hat. Meine fotografische Inszenierung des gleichen Regelbau-Typs, Nachts am Strand von Le Pin Sec, passt gerade noch in mein Verständnis von einer Symbiose von Street-Art und Atlantikwall. Bleibt noch zu hoffen, dass wenigstens ET mit der Botschaft der Menschheit, die das Raumschiffs „grueß gott“ überbringen soll, etwas anfangen kann: „SCHNEIDET ALL EURE HAARE“.

R 667 „grueß gott“ is ready for takeoff. Warum sich allerdings die Botschaft der Menschheit an
die Außerirdischen ausschließlich auf deren Haartracht bezieht bleibt das Geheimnis des Künstlers.

Surreal2.
Wo könnte ein 3-äugiges Katzenfabelwesen, das auf einem ebenfalls 3-äugigen Kotelett durch die Nacht reitet (siehe Beitragsbild) besser zur Geltung kommen, als auf einem am Strand sowieso schon deplatziert wirkenden Betonklotz aus dem Zweiten Weltkrieg? Diese Frage hatte sich Charles Foussard bereits 2009 selbst beantwortet, denn seither verheiratet er seine gemalten und gesprayten halluzinativen Poesien mit dem schrägen Beton zu einer einzigartigen surrealen Phantasie. Charles Foussard ist Street-Art-Künstler und lebt vornehmlich in Bordeaux, also ist der Weg zum Strand von Aquitanien nicht weit. Und da er um die Halbwertszeit seiner Kunst weiß, übermalt er die meisten seiner Werke selbst wieder – jährlich.

„CF – Charles Foussard“ als komplette Signatur findet man auf den Bunkern in den Dünen und an den Stränden häufig. Charles ist einer der wenigen allgemein anerkannten Künstler seines Metiers und muss sich nicht hinter einem „Tag“ verstecken.

Das war mein Kurzausflug in die Kunstwelt Atlantikwall und zu einigen der künstlerischen Interpretationen, von denen es natürlich eine Vielzahl an weiteren Beispielen gibt. Ich weiß, eine Website ist das denkbar schlechteste Medium, um die wahren Größe zu vermitteln, die diese Kunst auf Kunst im Original verströmt. Und mir ist auch bewußt, dass die wahre monumentale Aura dieser mächtigen Skulpturen nur an den Originalschauplätzen erlebbar ist. Ich denke aber, dass die Aufnahmen in meinem Bildband einen guten Vorgeschmack auf die wirkliche Aussagekraft dieser Kunstwerke bieten können, ganz im Sinne einer kunstgerechten Ausstellung.

Capbreton, Skulptur R652
Capbreton, Skulptur R652
Ausstellungsgelände Marine-Küsten-Batterie Dietl, Norwegen Vestfjord, Engeløya.
S 384-Stand für eine der drei 40,6 cm Schnellladekanonen C/34 (Adolfkanone).

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